Ziehen Sie einen Strich

Welchem Glauben Sie sich zugehörig fühlen (oder auch nicht), geht die Behörde nichts an

Ich bin mit 19 Jahren aus der katholischen Kirche ausgetreten. Schwierig war das nicht. Ich begab mich ins Stadtmagistrat, suchte die „Abteilung für Religionsangelegenheiten“, welche aus einem halben Zimmer bestand, tat dort mein Ansinnen kund, erhielt das betreffende Formular von einer gelangweilten Sekretärin, die irritiert vom Nägellackieren aufsah, und füllte es aus. Als sie das Blatt paraphierte und abstempelte, fiel darauf ein pinkfarbener Tropfen vom Pinsel ihres Nagellackfläschchens, den sie zwischen zwei Nebenfinger geklemmt hatte. Das war’s. Ich verließ den Raum genauso argumente- und rechtfertigungsschwanger, wie ich gekommen war. Irgendwie muss ich angenommen haben, dort auf Vertreter der Heiligen Inquisition zu treffen, die unter Drohen und, wenn das nicht half, Flehen versuchen würden, mich von meinem Entschluss abzubringen, und hatte mich dafür entsprechend gerüstet. Denen hätte ich es aber gesagt, ein- für allemal. Dass ich NIE! und NIMMER!! einen Verein unterstützen würde, der Macht und Reichtum hortet, die Pille verbietet, Ungläubigen die Seligkeit abspricht, Kinder missbraucht und Frauen nur im Bodenpersonal duldet. Offensichtlich wollte sich das kein städtischer Beamter anhören, warum sollte er auch. Aber ich muss zugeben, dieser Mangel an Dramatik störte mich damals schon ein bisschen.

Bemerkenswert scheint mir heute an dieser Episode nur, dass ich aus der katholischen Kirche zwar aus-, in sie aber nie eingetreten bin. Wenn man so will, wurde ich ihr im Alter von zwei Monaten beigetreten, oder, widerspenstiger formuliert, in sie hineingetreten. Nicht, dass ich das meinen Eltern übel nähme. Tradition und das alles. Festzuhalten ist allerdings, dass ich jemals weder einen Vertrag noch eine Bestellung unterschrieben hatte, der einen Lieferanten spiritueller Leistungen berechtigen würde, mir einen monatlichen Pauschalbetrag in Rechnung zu stellen. Man tritt einer Glaubensgemeinschaft nur in den seltensten Fällen willentlich bei. Man wird üblicher Weise in sie hineingeboren. Das mag richtig und wichtig sein und viel mit kultureller Identität zu tun haben. Aber, und so ist die menschliche Gesellschaft nun mal verfasst, dieses Beigetreten-Werden birgt für den Einzelnen beträchtliche Implikationen auch im nicht-religiösen Bereich in sich.

Ich bleibe im Inland. Ich spreche nicht von Gemetzeln zwischen Sikhs und Hindus oder Sunniten und Schiiten. Und ich erlaube mir, dich als Schäfchen einer Glaubensgemeinschaft jetzt kurzfristig zu duzen. Bist du katholisch getauft, leidest du derzeit unter gewissen Imageproblemen, und auf jeden Fall ereilt dich eine monatliche Zahlungsaufforderung. Dafür werden deine Religionsstunden in allen Schulen bequem am Vormittag untergebracht. Warst du in früheren Jahrhunderten evangelisch getauft, erwarteten dich Verfolgung und Vertreibung, heute hast du davon deine Ruhe und musst nur mehr bis Freitag Abend auf deine Religionsstunden warten. Hatten du oder auch nur deine Vorfahren irgendwann einmal ein jüdisches Glaubensbekenntnis abgelegt, so verschickte man dich in den Jahren 1938 bis 45, und das ist nicht wirklich lange her, in die Gaskammer, so du nicht rechtzeitig abhauen konntest. Bist du Muslim und kannst dich mit dem Islam nicht mehr identifizieren, so bist du auch heute noch offiziell zum Tode verurteilt, zumindest wenn sich dein Glaubensabfall bis zu Osama Bin Laden oder einem seiner Gesinnungsgenossen durchspricht. Geradezu harmlos nimmt es sich dagegen aus, wenn man dir, der du ein muslimischer oder jüdischer Junge bist, aus kultischen Gründen die Vorhaut absäbelt. Eine Körperverletzung bleibt es doch.

Religionen waren zwecks Wahrung ihres Machtanspruchs nie zimperlich in der Wahl ihrer Mittel. Dass ihnen dafür auch heute noch, im Jahre 2010 nach Christi angeblicher Geburt, der zivile Staat oft den willfährigen Büttel macht, ist zweifellos ein Relikt früherer theokratischer Strukturen. Dass gerade Österreich in diesem Bemühen mit seinem unseligen Konkordat, das die Republik mit der katholischen Kirche einging, europaweit den Musterknaben gibt, sollte allerdings endlich überdacht werden. Aus gehabtem Schaden nichts gelernt?

Fünf SchülerInnen der Handelsakademie Innsbruck, der Schule, an der ich heute arbeite, waren es im ersten Semester des Schuljahres 1937/38, deren Semesterzeugnis und Stammdatenblatt der fatale Vermerk „Religiöses Bekenntnis: Mosaisch“ zierte. Wir wissen, wie sich das zweite Semester für sie gestaltete: Sofortige Flucht oder baldige Ermordung. Ein Abschlusszeugnis gab es für sie nicht, und das hatte nichts mit ihren guten, schlechten oder durchschnittlichen Noten zu tun. Nein, es handelte sich auch nicht um kirchliche Verfolgung, aber ohne die zivile Erfassung religiöser Kategorien hätte ihnen das nazistische Terrorregime nicht dermaßen effizient nach dem Leben trachten können.

Und heute? In ungebrochener Chuzpe fragt die Republik Österreich, wer immer das ist, in Gestalt vieler kleiner Behörden nach dem Religionsbekenntnis. Allen voran nach wie vor im Bildungsbereich: Nach meinem anfangs vorhandenen und später nicht mehr vorhandenen Religionsbekenntnis wurde zahllose Male gefragt, und ohne mein Zutun wurde es durch all die Jahre behördlich kolportiert und somit transparent gemacht: Beim Eintritt in den Kindergarten. Bei der Einschulung. Beim Wechsel ins Gymnasium. Auf jedem Schulzeugnis bis hin zur Matura. Bei Immatrikulation und Sponsion? Hoffentlich nicht, aber durchaus möglich. Und ganz gewiss bei meiner Bewerbung um einen Lehrerposten, bei Vertragsverlängerungen und immer so fort. Zuletzt vor zwei Monaten , als ich nach einem Unfall im Krankenhaus lag. Auch das „fehlende“ religiöse Bekenntnis meiner Kinder musste ich wieder und wieder dem Amte bekannt geben, und als Vermieterin einer Wohnung in der Stadt Innsbruck muss ich auf dem Meldezettel meines Mieters, man glaubt es nicht, auch sein Religionsbekenntnis unterschreiben. Als ob mich oder irgend wen das etwas anginge!

Nicht, dass ich diese staatlich sanktionierte Gesinnungsschnüffelei widerspruchslos hingenommen hätte. Der Vermerk „Religiöses Bekenntnis: ohne rel. Bek.“ auf den Schulzeugnissen meines Sohnes brachte mein Ärger-Fass irgendwann zum Überlaufen. An prominentester, exakt an vierter, Stelle („Name.Vorname. Geboren am. Religionsbekenntnis“) fand ich meinem Kind amtlicherseits bereits ein Defizit attestiert, noch vor der Betragensnote oder gar den eigentlichen Leistungsbeurteilungen. Man stelle sich vor, im Zeugniskopf würde etwa stehen „Hautfarbe: keine Hautfarbe“: Müsste sich da ein Albino nicht als Mangelwesen fühlen? Oder, in in einem überwiegend weißen Land, „Hautfarbe: Schwarz“: Wäre dadurch nicht einer inner- oder außerschulischen Benachteiligung Vorschub geleistet? Vermutlich wird man sich hierzulande die Frage stellen, was denn nun die Erwähnung der Hautfarbe in einem schulischen Leistungsnachweis verloren habe? Genau: Nichts. Und das Religionsbekenntnis? Genauso wenig. Also protestierte ich (mit Erfolg) bei in der betreffenden Schule und (mit zweifelhaftem Erfolg) beim Unterrichtsministerium. Dort nämlich leitete man mein Ansinnen auf Änderung dieser Praxis an die „Abteilung für Religionsangelegenheiten“ weiter, die von einem katholischen Religionslehrer geleitet wird, welcher postwendend meine Vorgesetzte im Landesschulrat für Tirol über meine Beschwerde in Kenntnis setzte, welche mich wiederum mitten in den Ferien umgehend zu sich vorlud. Meine Anfrage beim Vatikan erwies sich als noch weniger zielführend – meine E-mail wurde mit dem Angebot eines kostenlosen päpstlichen Segens per sms beantwortet, falls ich meine Handynummer bekannt gäbe – , und das Büro des Kardinals Schönborn beschied mir, der Eintrag des Religionsbekenntnisses auf Schulzeugnissen sei der Ausdruck kultureller Vielfalt.

Nein, lieber Herr Dr. Schönborn, das ist er nicht. Im Gegenteil. Er bestärkt bestehende Machtverhältnisse. Religion mag Gruppen einen, aber zwischen Gruppen wirkt sie sich erwiesenermaßen trennend aus. Und nicht nur das, sondern auch diskriminierend und konfliktverschärfend. In unserer von Globalisierung und Migration geprägten Gesellschaft kann es bei Wohnungs- oder Arbeitssuche durchaus einen Unterschied machen, ob der Bewerber der vorherrschenden Religionsgemeinschaft angehört oder beispielsweise dem Islam. Wahrscheinlich dürfen ja Arbeitgeber oder Vermieter aus Datenschutzgründen gar nicht nach so sensiblen Daten wie dem Religionsbekenntnis fragen – müssen sie ja auch nicht, wird ihnen ohnehin per Amtsschimmel frei Haus geliefert …

Die BürgerInnen mögen sich bewusst werden, dass nichts und niemand sie zwingen kann, ihren Glauben öffentlich zu bekennen, und seien noch so viele Rubriken auf behördlichen Schriftstücken dafür vorgesehen. Mögen Sie getauft, beschnitten oder als Kind hinduistischer oder buddhistischer Eltern geboren sein. Mögen Sie Ihr Kind taufen lassen oder im Glauben Ihrer Ahnen erziehen. Mögen Sie Manitu verehren, Konfuzius, Ganesha, Jahwe, Jehova oder Allah. Mögen Sie in den Tempel gehen, in die Kirche, Synagoge oder Moschee. Mögen Sie Skeptiker sein, Mystiker, Derwisch, Atheist oder Agnostiker: Es geht den Staat nichts an. Religiöse Riten, spirituelle Überzeugungen oder ethnische Zugehörigkeiten haben im zivilen Bereich keine Rechtsrelevanz. Was man Ihnen als Serviceleistung zu verkaufen versucht („Ihr Kind soll doch Religionsunterricht haben! Sie brauchen doch Kontakt mit Ihrem Seelsorger!“), ist nichts anderes als der bislang erfolgreiche Versuch, Sie zu schubladisieren und zu kontrollieren.

Bekennen Sie sich nicht. Ziehen Sie einen Strich, wo der Staat versucht, Ihnen unziemliche Fragen zu stellen. Andere Varianten mögen kreativ und witzig erscheinen („o.B.“ nicht nur für „ohne Bekenntnis“, sondern auch für „ohne (Augen)binde“; „o.K.“ für „ohne Konfession“ bzw „okay“; „k.A.“ für „keine Angabe“ bzw „keine Ahnung“), – ein Strich verweigert die Angabe in neutraler Form und tut Ihrem Glauben keinen Abbruch. Weder Sie noch Ihre Kinder brauchen auszutreten, wo S/sie nie eingetreten sind, kein Imam wird gegen Sie eine Fatwa ausrufen, weil keine Behörde ihn von Ihrem Austritt in Kenntnis setzen wird, und kein Pfarrer wird mit der bangen Frage „Was haben wir denn falsch gemacht?“ bei Ihnen vorbeischauen. In der Schule bestünde Freiheit in der Wahl des Religionsunterrichtes bzw zwischen Ethik- und Religionsunterricht. Und dem österreichischen Grundgesetz würde endlich Folge geleistet.

© Sabine Wallinger