Zusatzprotokoll

Bezüglich des in der Vatikanstadt am 5. Juni 1933 unterzeichneten Konkordates zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Österreich haben die Hohen vertragschließenden Teile die folgenden Erklärungen abgegeben, die als integrierende Bestandteile des Konkordates zu gelten haben.

Zu Artikel IV. § 2.

wird erklärt, daß im Falle, als die österreichische Bundesregierung einen Einwand allgemein politischen Charakters erheben sollte, der Versuch zu unternehmen ist, zu einem Einvernehmen zwischen dem Heiligen Stuhle und der Bundesregierung analog der Bestimmung des Artikels XXII Absatz 2 des Konkordates zu gelangen; sollte dieser Versuch erfolglos bleiben, so ist der Heilige Stuhl in der Durchführung der Besetzung frei. Das gleiche gilt auch für die Ernennung eines Koadjutors mit dem Rechte der Nachfolge für einen österreichischen Erzbischof oder Bischof oder einen Prälaten Nullius.

Zu Artikel V. § 1 Absatz 3.

Seitens der obersten staatlichen Unterrichtsverwaltung wird nach Anhörung der zuständigen Diözesanbischöfe festgestellt werden, von welchen kirchlichen theologischen Lehranstalten der Übertritt an eine vom Staate erhaltene katholisch-theologische Fakultät während des Studienganges bei Erfüllung der für die Zulassung zum ordentlichen Universitätsstudium sonst vorgeschriebenen Voraussetzungen möglich ist. Im Hinblick darauf wird auch der Heilige Stuhl dafür Vorsorge treffen, daß der Studienplan dieser kirchlichen Lehranstalten im Rahmen der ihnen gestellten Aufgaben dem Studienplane der vom Staate erhaltenen katholisch-theologischen Fakultäten in den wesentlichen Punkten nach Möglichkeit angepaßt werde.

Zu Artikel V. § 2.

Die an päpstlichen Hochschulen erworbenen Diktorate aus Teilgebieten der Theologie gelten in Österreich insoweit, als es sich nicht um die Ausübung eines weltlichen Berufes handelt.

Zu Artikel V. § 4.

Falls ein gemäß dieser Konkordatsbestimmung von der Ausübung seiner Lehrtätigkeit enthobener Professor nicht eine andere staatliche Verwendung findet, wird er in seiner Eigenschaft als Bundeslehrer unter Zuerkennung der ihm gemäß seiner anrechenbaren Dienstzeit zukommenden Ruhegenusses, jedenfalls aber des Mindestruhegenusses, sofern er nach Maßgabe der sonstigen staatlichen Vorschriften nicht überhaupt den Anspruch auf Ruhegenuß verwirkt hat, in den Ruhestand versetzt.

Das gleiche gilt auch für die katholischen Religionslehrer an den staatlichen mittleren Lehranstalten. Die Bestimmung über die Sorge für einen entsprechenden Ersatz hat auf diese Lehrer sinngemäß Anwendung zu finden.

Zu Artikel VI. § 1 Absatz 1.

Zur Hintanhaltung von Mißverständnissen wird festgestellt, daß zu den niederen und mittleren Lehranstalten auch die gewerblichen, Handwerker-, die land- und forstwirtschaftlichen, kommerziellen und dergleichen schulen einschließlich der bezüglichen Fortbildungsschulen zählen.

Zu Artikel VI. § 1 Absatz 3 Satz 1.

Die Erteilung von Dispensen von der Teilnahme an den religiösen Übungen steht dem Religionslehrer zu.

Satz 2. Hiedurch ist nicht ausgeschlossen, daß die Aufwendungen für die Religionslehrer im Falle einer Änderung analoger Bezüge anderer Lehrpersonen entsprechend geändert werden.

Zu Artikel VI. § 2.

Es besteht Einverständnis darüber, daß den Diözesanordinarien und deren Beauftragten das Recht zusteht, Mißstände im religiös-sittlichen Leben der katholischen Schüler wie auch deren nachteilige oder ungehörige Beeinflussung in der Schule, insbesondere etwaige Verletzungen ihrer Glaubensüberzeugungen oder religiösen Empfindungen im Unterricht bei den staatlichen Schulbehörden zu beanstanden, die auf entsprechende Abhilfe Bedacht nehmen.

Es besteht insbesondere Einverständnis darüber, daß im Burgenland konfessionelle Schulen als öffentliche Schulen bestehen.

Weiters besteht Einverständnis darüber, daß im Falle einer Änderung der schulbehördlichen Organisation im Bundesgebiet oder in Teilen desselben für die bisherige Vertretung der Interessen der Kirche entsprechend vorgesorgt wird.

Zu Artikel VI. § 3.

Es besteht Einverständnis darüber, daß die im § 3 genannten kirchlichen Rechtssubjekte zur Bestellung weltlicher Lehrkräfte nicht verhalten werden dürfen, wenn geistliche Lehrkräfte, die gemäß den staatlichen Vorschriften lehrbefähigt sind, zur Verfügung stehen, und daß bei Handhabung der allgemeinen staatlichen schulvorschriften auf etwaige aus der Ordensdisziplin sich ergebende Pflichten der geistlichen Lehrpersonen Bedacht genommen werden wird.

Zu Artikel VII.

(1) Die Republik Österreich anerkennt auch die Zuständigkeit der kirchlichen Behörden zum Verfahren bezüglich des Privilegium Paulinum.

(2) Der Heilige Stuhl willigt ein, daß das Verfahren bezüglich der Trennung der Ehe von Tisch und Bett den staatlichen Gerichten zusteht.

(3) Der Heilige Stuhl wird die Herausgabe einer Instruktion durch den österreichischen Episkopat veranlassen, die für alle Diözesen (Praelatura Nullius) verbindlich sein wird.

Zu Artikel VIII. § 1.

Der Heilige Stuhl gesteht zu, daß im Falle der Erledigung des Amtes des Militärvikars die Bundesregierung vor der Designation des Nachfolgers dem Heiligen Stuhle jeweils in vertraulicher Weise auf diplomatischem Wegen die eine oder andere ihr hiezu geeignet erscheinende Persönlichkeit unverbindlich bekanntgibt. Auch die einzelnen Diözesanbischöfe legen analog der Bestimmung des Artikels IV. § 1 Absatz 2 dem Heiligen Stuhl eine unverbindliche Liste vor.

Zu Artikel IX.

Durch diesen Artikel werden staatliche Bestimmungen, in welchen noch andere Tage als Ruhetage erklärt werden, nicht berührt.

Zu Artikel X. § 3.

Der Heilige Stuhl wird dafür Sorge tragen, daß der Provinzverband der in Österreich bestehenden oder zu errichtenden religiösen Niederlassungen nach Tunlichkeit mit den Staatsgrenzen der Republik Österreich in Übereinstimmung gebracht wird.

Die Bundesregierung nimmt die vom Heiligen Stuhle angeregte Frage einer Neuregelung der Pfarren, die im Gebiete der Republik Österreich geistlichen Orden und Kongregationen inkorporiert oder von solchen verwaltet sind, zur Kenntnis und wird, namentlich soweit es sich um einen Austausch einiger Regularpfarren gegen Säkularpfarren handelt, an einer solchen Aktion der zuständigen kirchlichen Behörden im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten des Bundes mitwirken.

Zu Artikel XI. § 1.

(1) Streitigkeiten über die Frage, ob eine Kirche oder eine Pfründe einem Patronat unterliege oder hinsichtlich der letzteren das freie Besetzungsrecht des Bischofs eintrete, sowie über die Frage, wem ein Kirchen- oder Pfründenpatronat zukomme, sind von der Kirchenbehörde nach den Vorschriften des kirchlichen Gesetzbuches zu entscheiden. Von der betreffenden kirchenbehördlichen Entscheidung ist die oberste staatliche Kultusverwaltungsbehörde durch Übersendung einer Originalausfertigung der Entscheidung in Kenntnis zu setzen.

(2) Der Heilige Stuhl stimmt zu, daß sämtliche Streitigkeiten über Leistungen, welche auf Grund eines bestehenden Patronates angesprochen werden, von den Behörden der staatlichen Kultusverwaltung im instanzmäßigen Verfahren entschieden werden; insofern in solchen Streitfällen der Bestand des Patronates selbst bestritten ist und darüber noch keine rechtskräftige kirchenbehördliche Entscheidung vorliegt, stimmt der Heilige Stuhl zu, daß die Behörden der staatlichen Kultusverwaltung dort, wo Gefahr im Verzuge ist, auf Grund des bisherigen ruhigen Besitzstandes oder, soweit derselbe nicht sofort ermittelt werden kann auf Grund der summarisch erhobenen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse ein Provisorium verordnen.

Zu Artikel XIII. § 2.

Der Heilige Stuhl wird die Diözesanordinarien anweisen, bei intabulationspflichtigen Rechtsgeschäften auf der Urkunde nach vorheriger Überprüfung eine Klausel beizusetzen, daß gegen die bücherlich einzutragende Berechtigung oder Verpflichtung kirchlicherseits kein Anstand obwaltet und daß die Vertreter der kirchlichen Rechtssubjekte, welche das Rechtsgeschäft abgeschlossen haben, hiezu berufen werden.

Zu Artikel XIV.

Der Bund räumt den Vereinigungen, die vornehmlich religiöse Zwecke verfolgen, einen Teil der katholischen Aktion bilden und als solche der Gewalt des Diözesanordinarius unterstehen, volle Freiheit hinsichtlich ihrer Organisation und Betätigung ein. Der Bund wird dafür Sorge tragen, daß die Erhaltung und Entfaltungsmöglichkeit der seitens der zuständigen kirchlichen Oberen anerkannten katholischen Jugendorganisationen geschützt werde und daß in vom Staat eingerichteten Jugendorganisationen der katholischen Jugend die Erfüllung ihrer religiösen Pflichten in würdiger weise und ihre Erziehung in religiös-sittlichem Sinne nach den Grundsätzen der Kirche gewährleistet werde.

Die Presse wird hinsichtlich der Vertretung katholischer Lehrsätze keinen Beschränkungen unterworfen sein.

Der Heilige Stuhl stimmt zu, daß Streitigkeiten über Verpflichtungen zu Leistungen an Geld oder Geldeswert für Kultuszwecke unbeschadet der Bestimmungen des Absatzes 2 des Zusatzprotokolles zu Artikel XI § 1 bis zu einer einvernehmlichen Neuregelung von den staatlichen Behörden entschieden werden, und zwar, wenn eine solche Leistung aus dem allgemeinen Grunde der Zugehörigkeit zu einem kirchlichen Verbande in Anspruch genommen wird, von den Behörden der staatlichen Kultusverwaltung im ordentlichen Instanzenzuge, sonst von den Zivilgerichten. Bei Gefahr im Verzuge kann ein Provisorium im Sinne des Absatzes 2 des Zusatzprotokolles zu Artikel XI § 1 verfugt werden.

Die im Gebiete der Republik Österreich in betreff der Herstellung und Erhaltung der Kirchen- und Pfründengebäude sowie in betreff der finanziellen Bestreitung der sonstigen Kirchenerfordernisse bestehenden Normen einschließlich des Gesetzes vom 31. Dezember 1894, R. G. Bl. Nr. 7 ex 1895, bleiben mit den aus diesem Konkordat sich ergebenden Modifikationen bis zu einer im Einvernehmen zwischen der Kirchen- und Staatsgewalt getroffenen Neuregelung aufrecht.

lt. Art. 29 Absatz 4 der Verfassung vom 1. Mai 1934 war der Absatz 1 der Bestimmung zu Artikel XIV im Zusatzprotokoll mit Verfassungsrang ausgestattet

Zu Artikel XV. § 3.

Hiebei wird auch auf die Kosten der Führung der Ordinationskanzleien, soweit für deren Zwecke nicht bereits Vorsorge getroffen ist, nach Maßgabe der staatsfinanziellen Verhältnisse Bedacht zu nehmen sein.

Durch Vertrag vom 23. Juni 1960 wurde die Bemerkung zu Art. XV. § 3 aufgehoben.

Zu Artikel XV. § 5.

Kürzungen aus staatsfinanziellen Gründen werden nicht ohne vorheriges Benehmen erfolgen.

Durch Vertrag vom 23. Juni 1960 wurde die Bemerkung zu Art. XV. § 3 aufgehoben.

Zu Artikel XXII. Absatz 3.

Unter anderem treten hiemit die Gesetze vom 7. Mai 1874, R.G.Bl. Nr. 50 und 51, in ihrem ganzen Umfange außer Kraft.

In der Vatikanstadt, am 5. Juni 1933.

Dr. Dollfuß,
Bundeskanzler

Schuschnigg,
Bundesminister


Ratifikation

Die Bundesregierung erklärt das vorstehende Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhle und der Republik Österreich für ratifiziert und verspricht im Namen des Bundesstaates Österreich dessen gewissenhafte Erfüllung.

Zu Urkund dessen ist die vorliegende Ratifikation vom Bundespräsidenten unterfertigt, vom Bundeskanzler und von allen anderen Mitgliedern der Bundesregierung gegengezeichnet und mit dem Staatssiegel der Republik Österreich versehen worden.

Geschehen zu Wien, den 1. Mai 1934

Der Bundespräsident
Miklas

Der Bundeskanzler
und die übrigen Mitglieder der Bundesregierung
Dollfuß, Fey, Schuschnigg, Neustädter-Stürmer,
Buresch, Stockinger, Schönburg, Ender, Kerber,
Schmitz


Kundmachung des Bundeskanzlers

Der Austausch der Ratifikation ist am 1. Mai 1934 erfolgt und das Konkordat daher an diesem Tage in Kraft getreten.

Dollfuß

Das Konkordat, das der Katholischen Kirche erhebliche Rechte in Österreich einräumt, war nach Artikel 30 Absatz 4 teilweise Verfassungsrecht nach der Verfassung vom 1. Mai 1934.

Lt. Rechtsinformationssystem des Bundeskanzleramtes der Republik Österreich ist das Konkordat (mit den Änderungen durch nachfolgende Verträge) weiterhin geltendes Recht in Österreich und für die Verhältnisse zwischen der Katholischen Kirche und dem Staat in Österreich.


Quellen: Rechtsinformationssystem der Republik Österreich
Otto Ender, Die Verfassung 1934, Österreichischer Bundesverlag 1935
© 16. November  2002 – 15. September  2004